LONGLIST DEUTSCHER SELFPUBLISHING-PREIS 2017

„Ein fulminanter Auftakt der brandneuen Thriller-Reihe. Eine Story, die mich schnell in ihren Bann gezogen hat. Gut gezeichnete, vielschichtige Charaktere, die nicht nur ihre Sonnenseiten haben. Wahrlich nicht. Wenn ich allein an Martins Vorgeschichte denke … alter Schwede. Ein Schreibstil, der einfach Spaß macht. 340 Seiten, die rasch umgeblättert werden möchten. Ich jedenfalls habe mich dabei ertappt, regelmäßig zu wenig Schlaf zu bekommen, seit ich ZWINGER auf dem Nachttisch liegen habe.
So sieht ein spannendes Buch aus.“
(Khentron auf Amazon)

Was würdest du tun, um die Liebe deines Lebens von den Toten zurückzuholen?

Eine Krankenschwester, die mordet, um ihren Geliebten von den Toten zurückzuholen. Ein indisches Mädchen, als Sklavin gehalten, das kein sechstes Mal sterben will. Ein Familienvater, der in einem Zwinger gegen den Hungertod und für seine kleine Tochter kämpft — und gegen die Zeit.

Drei Schicksale. Ein dunkles Wesen, das im Tode lauert. Kein Entkommen.


Als der Familienvater Martin sich auf dem Weg zu einem Kunden verfährt und nach dem Weg fragt, wird er von einer jungen Frau in einen Zwinger gelockt und eingesperrt. Auch Martins Familie scheint bedroht. Die Frau, Elena, will die Seele ihres verstorbenen Mannes, eines weltberühmten Nahtodforschers, in einen neuen Körper überführen. Dafür geht sie über Leichen. Ist sie verrückt vor Kummer und Liebe – oder hat das Experiment Aussicht auf Erfolg? Kann die ebenfalls gefangene Ananya, die als Sklavin nach Deutschland verkauft wurde, Martin und sich retten? Welche dunkle Macht hat die Knochen im Gesicht von Elenas Mann nach seinem Tod auf bizarre Weise verzerrt? Was lauert dort, in Totland?


Hardcover, gebunden

Überall im Buchhandel. ISBN 978-3-7450-6196-3


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Leseprobe ZWINGER


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||| Dienstag |||

Göttin, hilf mir!
Ananya zerrte an ihrer Kette. Die Hornhaut um ihr Fußgelenk ließ sie das unnachgiebige Metall kaum spüren. Der Computermonitor am anderen Ende des Zimmers zeigte ihr Spiegelbild: ein zierliches Mädchen, an einen Heizkörper gekettet. Was der Spiegel verschwieg: Das Mädchen war fünf Mal schon gestorben.
Ananya zog ihren Sweater aus, knotete einen Knubbel in einen Ärmel und machte sich an die Arbeit.
Sie würde kein sechstes Mal sterben.

||| Dienstag |||

Warum kehren deine Toten zurück, wieder und wieder? Erst füllen sie nur deinen Kopf, bevölkern deine Träume. Irgendwann aber quellen sie in dein Leben und überschwemmen alles Gute darin. Kannst du es verhindern? Kannst du dein Leben so mit Leben vollstopfen, dass darin kein Platz mehr für den Tod ist?
Martin ging nach draußen zum Geräteschuppen, sein Atem dampfte in den Herbstmorgen. Könnte er den Albtraum der Nacht ausatmen, wäre der Dampf rabenschwarz. Er schüttelte sich und setzte ein trotziges Lächeln auf.
Am Horizont über dem Schwarzwald schichteten sich die ersten Farben der Dämmerung. Der Rauch aus dem Kamin duftete. Martin liebte diesen Geruch und er liebte es, morgens als Erstes den alten Holzofen von DeDietrich anzufeuern. Er mochte die Vorstellung, dass es Eva und Marie kuschlig warm hatten, wenn sie sich an den Frühstückstisch setzten. Die Kaffeemaschine lief.
Er war wieder im Opel gewesen in seinem Traum. Seine Mutter und sein Vater hatten gestritten. Wie damals vor fast vierzig Jahren.
Denk nicht mehr daran.
Aus dem Schuppen – hatte er die Tür offengelassen? – holte er die Sense, den Wetzstein und einen Stuhl. Er setzte sich und machte sich an die Arbeit. Nichts vertrieb schneller seine schlechte Stimmung als die Arbeit mit den alten Werkzeugen und Maschinen.
Die verrostete Sense entpuppte sich als antikes Prachtexemplar, ein Geschenk von einem Bauer aus Sankt Blasien. »Zur Wiederbelebung«, wie der Mann sich ausgedrückt hatte.
Martin genoss seine ehrenamtliche Arbeit für das kleine Museum, auch wenn er dafür so früh aufstehen musste, er genoss die kniffligen Arbeiten an den alten Gerätschaften. Er war stolz darauf, dass er so ziemlich alles reparieren konnte, womit Landwirte in den letzten hundertfünfzig Jahren ihr Geld verdient hatten.
Er genoss den Anblick seines freundlichen Bauernhauses in gelb und weiß, das Holz ein warmes Grau, an dem rote Rosen hochrankten, sogar um diese Jahreszeit noch. Das Haus war paradiesische Insel und Burg zugleich. Noch immer betrachtete er sich jeden Tag stolz, was er und Eva aus der Ruine gemacht hatten. Er hatte die Wiederbelebung, diese elf Jahre ausgekostet, den Lärm, den Dreck, die Erschöpfung, das zufriedene Lächeln auf Evas Gesicht nach jedem geschafften Stück, ihr triumphierendes Lachen nach jeder gemeisterten Panne. Er hätte Lust, wieder von vorn anzufangen. Beim zweiten Mal würde er weniger teure Fehler machen. Ihretwegen gehörte das Haus zur Hälfte der Bank.
»Autsch.« Blut wellte unter einem kleinen Schnitt an seiner Daumenkuppe. Er nuckelte daran.
»Der Papa lutscht am Daumen? Was ist das für ein Vorbild für Marie?« Eva trat aus der Küchentür und Martins Albtraum verlor an Kraft. Eva vertrieb die Düsternis aus seinem Leben. Sie besaß diese wunderbare Fähigkeit heute mit fünfunddreißig wie damals mit dreiundzwanzig, als sie zusammenkamen. Zwar war sie zehn Jahre jünger als er, aber mit ihren einsfünfundachtzig fast genau so groß. Nach einem Trickfilm hatte Marie gesagt: »Bärenpapa und Bärenmama, das seid ihr.« Eva strahlte selbst in ihrem alten Bademantel so viel Wärme aus wie Sex-Appeal. Der lag in der kleinsten ihrer Bewegungen, sinnlich wirkten die und zugleich stolz, er lag in ihrem Blick, der dich ganz gefangen nahm, in ihren fein geschwungenen Lippen. Nein, nur er war ein Bär. Nach all den Jahren war ihm Evas Anblick nie schal geworden. Und trotzdem …
»Hat der Sensenmann Marie gesehen?« Eva rieb ihre Arme. Ihre noch schlafverstrubbelten blonden Haare wallten über ihre Schultern.
»Hast du in ihrem Bett nachgeschaut?«
»Da wollte ich sie gerade rauswerfen.«
»So früh? Kindergarten ist doch erst um halb acht.«
»Schon vergessen, alter Mann? Seit drei Tagen besteht sie darauf, mit uns zu frühstücken.«
»Ohne Bärenkind ist der Tisch ganz leer.« Marie und ihre Einfälle. Er sah, wie Eva fror. »Geh du rein suchen, ich sehe hier draußen nach.« Er hatte eine Idee, wo er Marie finden würde.
Er trat zum Schuppen und legte die Hand an die Klinke. Sie war heiß. Er zuckte zurück. Vorsichtig fasste er den polierten Griff ein zweites Mal an. Kühl. Wie zu erwarten nach einer kalten Herbstnacht.
Das Gurtschloss in seinem Albtraum war heiß gewesen. Er konnte es nicht öffnen, sich nicht befreien. Er hockte da auf dem Rücksitz und durch die Seitenscheibe glotzten ihn Augen an.
Zu große Augen für ein Reh oder ein Wildschwein.
Er atmete durch. In der Küche klapperte Eva mit Geschirr. Auf der Straße rumpelte der Lieferwagen der Bäckerei Reuss vorbei, und Martin winkte der Juniorchefin hinterm Steuer zu. Alles wie immer.
»Wiedehopf?«, flüsterte er. »Wo ist mein Wiedehopf?«
»Pupu«, kam der täuschend echt klingende Ruf aus dem Dunkel.
Marie ging es gut. Erleichterung durchflutete Martin wie warmes Blut.
»Pupupuu«, rief sie.
Er machte Licht. An drei Wänden stapelten sich Haufen aus modrigem Holz und rostigem Eisen. Andere sahen Gerümpel, er sah Antiquitäten, Chancen und viel, viel Arbeit. Alte Rechen und Hacken, Pflugscharen und Pflugsechen, Grindeln und Riester, eine Federzinkenegge und eine Telleregge, die angeblich aus napoleonischer Zeit stammte, ein Grubber zur Lockerung der Winterfurche, eingeätzt das Jahr 1873. Seine Schätze.
Sein größter Schatz versteckte sich unter dem Leiterwagen, seiner letzten Erwerbung, für die er noch keinen Platz gefunden hatte. Mit einem Ächzen senkte er seine hundert Kilo in die Hocke.
»Das Bärenfrühstück wartet«, sagte er. »Lea wird dich im Kindergarten vermissen.«
»Ich klemme!«
Martin beugte sich tiefer unter den Leiterwagen und sah einen von Maries immer nackten, immer schmutzigen Füßen ungeduldig zappeln.
»Soll ich dich rauskitzeln? Oder muss ich dich von oben bis unten mit Fett einschmieren, damit du rausflutschst?«
»Neiiin.«
Schwer atmend legte Martin sich auf den Bauch, um besser unter den Wagen zu langen. Eine Spinne trippelte vor seiner Nase vorbei. Behutsam schob er sie aus dem Weg.
»Das kriegen wir hin«, sagte er, »und wenn nicht hin, dann eben her.«
»Nicht kitzeln«, warnte Marie. Sie hatte sich den linken Arm über der Vorderachse eingeklemmt. Wie schafften es Kinder bloß immer wieder, sich in ein paar Sekunden in solch unmögliche Situationen zu bringen?
Martin verzog das Gesicht. Er war der Letzte, der diese Frage stellen sollte.
»Mach deine Hand flach. Die eingeklemmte. Du weißt schon, Karatehand wie Hong-Kong-Pfui.«
Sanft zog er an Maries Ärmchen, das ihm so dünn und verletzlich vorkam wie Vogelknochen. Dann beging er einen Fehler: Er sah nach oben. Sofort zog sich seine Brust zusammen. Dabei lag er gerade mal bis zu den Schultern unter dem Wagen. Und trotzdem. Er atmete schwer, konnte sich nicht mehr bewegen. Schweiß kitzelte seinen Nacken. Der Boden des Leiterwagens senkte sich auf ihn.
Wieso war der Albtraum zurück? Wieso jetzt? Und warum belog er sich weiter und akzeptierte den Traum nicht als das, was er war: eine Erinnerung?
»Papa?« Maries Stimme brach den Bann.
Martin stieß den Atem aus.
Flink krabbelte Marie unter dem Wagen heraus.
»Papa!«, rief sie. »Also wirklich, was tust du denn da auf dem Boden? Huschhusch, du musst deine Maschinen verkaufen.« Und weg war sie.
Martin wünschte sich keine Termine heute, nicht den offiziellen bei Bauer Gründle, und nicht einmal den ganz und gar inoffiziellen danach.
Er stand auf und klopfte sich den Staub ab. An der Schuppentür zögerte er. Marie lachte und Eva fiel in ihr Lachen ein, drüben in der Küche. Unendlich weit weg.
Martin schloss die Schuppentür von innen, sperrte ab und ging zu einem der Regale. Er stieg auf eine Kartoffelkiste und holte einen alten Reisekoffer vom höchsten Bord. Staub wallte ihm ins Gesicht und er spuckte.
Im Koffer rasselte und rumpelte es, als er ihn auf die Werkbank wuchtete. An dem rostigen Rädchen stellte er die richtige Zahlenkombination ein, öffnete den Deckel und starrte eine Minute nur auf das, was im Koffer lag. Das letzte Mal geöffnet hatte er ihn, als sie hier eingezogen waren. Er hatte sich fest vorgenommen, ihn nie mehr aufzumachen. Schuld daran, dass er es trotzdem tat, war der Traum von letzter Nacht.
Der dunkelbraune Bürstendackel kugelte auf die Seite. Ein Erbstück von seinen Großeltern: ein geschnitzter Dackel mit zu rundem Kopf, der auf den Hinterbeinen saß und Männchen machte, halb so groß wie sein lebendiges Vorbild. Durch seine hölzerne Flanke bohrte sich ein Tunnel. Darin hatte eine von zwei Schuhbürsten gesteckt. Die andere hatte der Dackel in den ausgestreckten Pfoten gehalten. Die abgeschabte Schnitzerei war weder besonders schön noch besonders hässlich. Sie roch fern nach Mottenkugeln.
Martin stellte den Dackel im Koffer auf und holte die Teile der alten Balkenwaage aus Messing heraus, die nur noch aus dem Waagenbalken und den zwei Schalen an Ketten bestand. Mit zitternden Händen hängte er dem Dackel den Balken in die rechte Pfote, sodass die Waagschalen ausbalanciert herunterhingen.
Leere Schalen.
Die ganze Zeit spielte etwas wie ein alter Song in seinem Kopf.
Bitte, bitte, böses Biest, bitte lass mich leben /
Bitte, Biest, lass mich dir dafür meine Eltern geben.
Er murmelte die Verse automatisch vor sich hin.
Es war kein Song. Es war ein Gebet. Eins, das er sich selbst ausgedacht hatte. Die Scham brannte warm auf seinen Wangen. Er war sieben gewesen, als ihm die Verse einfielen, er hatte im Gurt eines Autos festgehangen, während seine Mutter und sein Vater still auf ihren Plätzen lagen, tot oder beinahe tot. In jener Nacht hatte er das nicht gewusst.
Er hatte nichts als Angst gehabt.
Er richtete das Gebet an das Ding, das ihn von draußen durch die Scheibe ihres verunglückten Autos anstarrte. Er hatte nicht gesehen, was es war. Was sonst als ein Wildschwein?
Für den siebenjährigen Martin war es ein Monster gewesen. Ihm hatte der kleine Junge seine Eltern opfern wollen, um sein Leben zu retten.
Das Monster hatte die Eltern nicht genommen.
Ein paar Tage danach hatte Martin ihm einen Altar eingerichtet. Einen Opferstock. Vor ihm betete er zu dem Monster, weil es ihm viel näher war als Gott.
Martin, schon mit sieben gut im Rechnen, hatte ein Gelübde abgelegt: Zum Dank dafür, dass das Monster seine Eltern und ihn am Leben gelassen hatte, würde er ihm so lange Opfer bringen, bis er ihr gemeinsames Lebendgewicht abgearbeitet hatte. Ein fairer Handel, so dachte er damals. Darüber lachen, wie es der kindische Unsinn verdient hatte, konnte selbst der erwachsene Martin nie.
Jetzt legte er die winzigen Gewichte in die rechte Schale, das kleinste wog ein Gramm, das größte einhundert.
Damals sammelte er Würmer für die Waagschalen, ein großer wog zwei Gramm, er sammelte Molche, der größte brachte siebenundvierzig Gramm auf die Waage. Er fand aus dem Nest gefallene Spatzen, die zwölf oder fünfzehn Gramm wogen. Über jedes einzelne Gewicht führte er Buch.
Bald wurde ihm bewusst, wie schwer seine Aufgabe war. All die kleinen Tiere wogen fast nichts, er und seine Eltern aber brachten es zusammen auf einhundertvierundneunzig Kilogramm. Er bedauerte jeden Tag, dass er dem Monster in seinem Gelübde etwas Lebendiges versprochen hatte.
Er hatte das Morden schnell satt. Aber die Angst, das Monster zu verärgern, ließ ihn den Ekel schlucken und die Heimlichtuerei weitertreiben. Niemand durfte erfahren, wofür er all die Tiere fing und was er nachts in seinem Zimmer trieb, schon gar nicht seine Eltern.
Das Größte, was in der Waagschale Platz fand, war eine Amsel. Sie wog achtundneunzig Gramm. Diese Beschränkung erleichterte ihn. Denn was hätte er noch alles für seinen Opferstock ermordet? Die Katze von Kesselbauers nebenan? Oder den nervigen Terrier seines Freundes Nick?
Aus einer Innentasche des Koffers holte der erwachsene Martin das Buch mit seinen Aufzeichnungen. Säuberlich vermerkt in vergilbten Spalten standen dort die Tiere, das Datum ihres Opfertodes, ihr Gewicht. Und, als Zwischenstand, nach jedem Opfer das Gesamtgewicht.
Martin hatte aufgehört, den Tieren die Namen von Freunden, Familie, Sportkameraden, Lehrern und Nachbarn zu geben, nachdem er jeden geopfert hatte, den er kannte. Er hatte aufgehört, Tiere zu sammeln und zu töten, als er siebzehn Kilo und einhundertneunzehn Gramm beisammenhatte.
Was empfand er heute für den kleinen Jungen und seine absonderliche Religion? Mitleid. Trauer. Abscheu. Verständnis. Vor allem fühlte er sich ihm nahe, viel zu nahe.
Seine Opfer hatten nicht aufgehört. Inspiriert von einem gruseligen Abenteuerfilm um Sindbad den Seefahrer und einen bösen Zauberer hatte er sich in den kleinen Finger geschnitten – und sein eigenes Blut in die Waagschale rinnen lassen. Jeden Tag. Manchmal hatte er gerade mal fünf Gramm opfern können, bis er den Anblick nicht länger ertrug. An einem anderen Tag hatte er die Schale mit hundertachtunddreißig Gramm seines Blutes bis zum Rand gefüllt.
Seine Mutter wunderte sich nicht über seine kleinen Schnittwunden an allen möglichen Stellen seines Körpers. Er war ein acht-, neun-, zehnjähriger Junge auf dem Land, der die meiste Zeit draußen spielte – da verletzte man sich andauernd an Dornen, zog sich einen Spleiß, fiel hin, raufte und wurde von einer Katze gekratzt oder von einem Mädchen.
Damals hatte er gelernt, zu lügen und zu täuschen. Er war nie sonderlich gut darin und doch nie erwischt worden. Stolz war er darauf nicht.
Als er siebenundneunzig Kilogramm zusammenhatte – Tiere und Blut – war er elf und fühlte sich zu alt für dieses lachhafte Gelübde. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf Wichtigeres: auf das Gymnasium, auf neue Freunde und unentdeckte Mädchen. Der Unfall lag vier Jahre zurück, zu der Zeit fast sein halbes Leben.
Er versteckte alles in einer alten Schachtel in einem Wandschrank seines Zimmers. Später zogen der Bürstendackel, die Waage und das Buch in den alten Koffer um.
Einmal im Jahr aber holte Martin seinen Altar noch hervor, am Jahrestag des Unfalls im Februar, und er hatte es getan, bis er Eva kennenlernte. Dann hatte er diesem Teil seiner Vergangenheit abgeschworen.
Bis heute.
»Martin?« Eva rüttelte draußen an der Tür. »Was ist los? Dein Kaffee wird kalt. Wieso hast du abgeschlossen?«
»Alte Gewohnheit, sorry. Komme sofort.«
Er wartete, bis sich Evas Schritte entfernten, dann nahm er ein Messer aus einer Schublade – abgeschlossen wegen Marie – und presste die Klinge auf die Kuppe seines kleinen Fingers der linken Hand. Er zögerte. Aber dieser Traum ließ ihn nicht los …
»Bitte, bitte, böses Biest«, murmelte er, »bitte lass mich leben. Bitte, Biest, lass mich dir dafür meine Eltern geben.«
Er ritzte sich den Finger und ließ ein paar Tropfen Blut in eine der Schalen fallen. Fünf Gramm, so viel lag an Gewichten in der anderen.
Seine Eltern lebten nicht mehr.
An dem blutenden Finger lutschend säuberte er die Waagschale und räumte den Altar weg. Einem Impuls gehorchend, wollte er die fünf Gramm in die Tabelle eintragen. Aber der Bleistift brach ab und er ließ es bleiben.
Nein, Dicker, das ist kein schlechtes Omen.

………………..
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